Flaneur der Traumwerkstadt
Von Michaela Nolte

Farbräume aus Tintenschwarzviolett und Taubengrau. Der Blick verkantet sich im Kupferzimmer, findet Halt am weißen Pfosten, taucht ab ins leuchtende Blau. Klettern mag wer will, entlang der Leiter in Untiefen, wo das Pfeilerweiß sich in Wasserbläschen auflöst. Strudelt. Nun heißt es entscheiden: Vorbei am gelbgrauen Echolot, tief Luft geholt und weiter ins Tintendunkel? Oder zurück zur Oberfläche kraxeln an einer Leuchtstoffröhre? Die wird zum klaren Kontur eines Hauses. Der Boden unter den Füßen verdeckt ungewisse Tiefe. Machen wir uns auf in die Stadt.

Wie reist es sich durch vage Städte und undefinierte Orte auf den Landkarten der Erinnerung kühlt heiße Minze. Nimmt den Staub der Hitze von Lippen und Seele. Da ist ein Geschrei in den Höfen. Unsichtbar. Rotes Murmeln plötzlich auf rosa Gestein. Der Klang eines Rebab durchweht streichend den Spalt zwischen Hausfassaden. Der Marktplatz rückt in die Betrachtung. Sichtbar wird er nicht.

Orte und Nicht-Orte, an denen wir hellwach nie waren. Unbestimmte Städte dicht gedrängt. Heim, Behausung, Traumwerk im Sandgebirge. Sie sitzen auf Holzbänken, fein gewebtem Teppich. Der Lehnsessel gehört in eine andere Welt. Die grüßt auf goldenen Stufen, umkreist im Goldenen Schnitt von Neonlicht. Vertraute Fremde strahlt über karstige Erde, auf Mauerwerk und fragile Treppen.

„ein treffen südlich des atlas“ schreibt Helmut Klock. Die Neonröhre verschiebt Raum, Zeit und Kolorit. Acryl- und Spachteltechnik reiben sich an der elektrischen Zusatzfarbe. Auch die schwarzen Kreidezeichen. Von den archaischen Architekturen ins Lichtermeer der Moderne schillern „Vage Städte“ und „Vertraute Unbekannte“. Lehmhüttendorf und Hochhausschlucht – in der Schwebe von Introspektion und Außenansicht.

Im Neon strahlt die grüne Landschaft blau wie das Meer, das Weiß der Fassaden glimmt feuerrot. „die taschenspieler schieben die wände von fall zu fall“, so der Künstler. „Die Welt ist alles, was der Fall ist“, denkt Ludwig Wittgenstein.

Malend und zeichnend, spachtelnd und montierend wandert Helmut Klock durch „Die Unsichtbaren Städte“ von Italo Calvino. 55 Miniaturen um Marco Polo und Kublai Khan. Filigrane Wortbildschöpfungen, dem Kosmos eines Paul Klee anverwandt. Ins Lavendelrot nistet sich das R aus der Villa des Schweizers. Auch Klee hatte sein „treffen südlich des atlas“. Die brennenden Farben der Tunisreise 1914, fünf Jahre vor der „Villa R“.

Von dort geht es zum Wostoksee. Im Bild reflektiert das Blaue Leuchten 4000 Meter unter dem Eispanzer. Dem treibt menschlicher Wissensdurst im Lichte der Aufklärung den Ewigkeitsanspruch aus. Bis in den allerletzten Winkel bringt der Fortschritt den Durchbruch. Neue Viren bringt er auch. Die architektonischen Kürzel assoziieren die Antarktis-Station ebenso wie die Wüstenoasen.

Wenn der Kahn auf Arnold Böcklins „Toteninsel“ zuschippert, warten dort Oleander- und Safran-Gassen. Das nordische Sinnbild des Fin de Siècle im Hellblau des Südens. In welchem der Meere ist „Die Toteninsel“ angesiedelt? Fünf Ozeane und fünf Fassungen. Gefertigt hat der Schweizer Maler sie zwischen 1880 und 1886 in Florenz. An eine Auftraggeberin schrieb Böcklin: „Sie werden sich hineinträumen können in die dunkle Welt der Schatten, bis Sie den leisen, lauen Hauch zu fühlen glauben, der das Meer kräuselt.“

Die Wasser, sie haben sich in Helmut Klocks Adaption beruhigt. Die Oberfläche glänzt plan im Königsblau, die Felsen sanft terracottafarben und aus dem Böcklin’schen Wald schält sich das fremde Stadt-Massiv.

„Kehrte nun die andere Fauna aus den Bibliothekskellern“, heißt es in Calvinos Dichtung sehr frei nach Marco Polo. Der Reisebericht des Venezianers vielleicht selbst Fiktion. Forscher zermartern Hirne und Messgerät über „Die Wunder der Welt“. Seit über 700 Jahren. Zum runden Jubiläum 1993 ehrt Nam June Paik Il Milione mit einer Skulptur. Der kulturelle Nomade mit mongolischen Wurzeln entwirft „Marco Polo“ als blumengeschmücktes Denkmuster im VW-Käfer, samt Kühlschrank und Fernsehmonitoren. Der Beitrag des Koreaners für den Deutschen Pavillon durchstreift die Giardini der Biennale di Venezia bis Ulan Bator. Am Anfang seiner „Unsichtbaren Städte“ schreibt Calvino: „Es ist nicht gesagt, daß Kublai Khan alles glaubt, was Marco Polo erzählt.“

Aus eigenen Exkursionen und literarischen Reisen im Kopf entstehen luzide Nebel der Phantasie. Überlagerungen im typischen Helmut Klock-Duktus. In seiner Farbigkeit und seinen Materialschichtungen aus Traum und Realität, aus Abstraktion und figurativen Anspielungen erscheinen die Städte wie Halluzinationen. Bilder wie Fata Morganen. Denn, so Wittgenstein: „Alles, was wir sehen, könnte auch anders sein.“

Berlin, im September 2012

Biographie

Geboren 1946

Studium an der Hochschule für bildende Künste Kassel Malerei | Kunsterziehung

Helmut Klock lebt und arbeitet in Berlin.