Eine Ausstellung komponiert aus Kopfreisen, Sprachbildern, Wortwanderungen und einem Postamt. Mit Honigtexten um drei siamesische Parkwächterinnen, einen wimpernlosen Trittbrettfahrer und mit einem Eisenreisebett.
Nach zwanzig Jahren partiziver Kunst macht barbara caveng 2023 einen radikalen Schnitt. Die Zeit der partizipativen Großprojekte wie READY NOW (2003), NEUKÖLLNER SOZIALPARKETT (2010), KUNSTASYL (2015) oder STREETWARE saved item (2021) ist vorbei.
Als Kopfreisende kehrte die in Berlin lebende Künstlerin kürzlich von einem Stipendium aus dem Reich der Sprachbilder zurück. Für drei Monate an geographisch nicht näher benannten Orten im „Moment der Unverfügbarkeit“ verweilend. Freund*innen und Kolleg*innen wunderten sich über cavengs rätselhaftes Abtauchen, die Künstlerin antwortete mit einer Edition von Briefen. Lediglich der Poststempel verortete die ungefähre Region der Aufenthalte.
Wortweiser
Orientierung im Dickicht der Wortwechsel und durch die Wahrnehmungen in dem jeweiligen Land, in dem sie war, bietet der „Wortweiser“. Die Worte selbst materialisieren sich in Clustern, an denen die Worttrauben herabhängen und verschiedenen Kategorien folgen: Glanzworte, Wolken und Körperteile, aber auch Reisen ans Ende der Welt oder Küchenhermeneutik, in der es beispielsweise Gabelworte gibt oder Fensterschenkel in der Kategorie Obszönitäten.
Literaturfäden
Die Raum-Installation „Die Bäume redeten im Schlaf“ lädt mit einem Eisenreisebett, einer Baumtapete und Literaturfäden zum Wortschöpfen, zu Spracherkundungen und zur Entschleunigung ein. Der Titel lehnt sich an das Gedicht „Das Eisenbett“ des georgischen Dichters Otar Chiladze (1933-2009) an, dem caveng sich mit Hilfe digitaler Übersetzungsprogramme und einem analogen Wörterbuch angenähert hat.
Bügeln Sie das Bett!
In eine Holzverkleidung, typisch für das Fußende eines Bettgestells, eingraviert steht: „Bügeln Sie das Bett!“ Eine leicht absurde Aufforderung — zumal in einem Ausstellungsraum. Doch nichts ist so abwegig, als dass es nicht irgendwo im Leben sein Pendant finden würde. „Bügeln Sie das Bett!“ war ursprünglich durch einen Übersetzungsfehler aus dem oben erwähnten Chiladze-Gedicht entstanden. Eher zufällig hat caveng im Nachhinein von einer georgischen Schriftstellerin erfahren, dass deren Großmutter während des Kaukasuskriegs im Jahr 2008 ihr Bett mit dem Bügeleisen erwärmt hat.
Über dem Eisenreisebett die Blätter aus Buchseiten — die auch vertrocknete Blüten sein könnten, Pflanzenblätter vielleicht — bewegen sich an ihren aprikosenfarbenen Fäden im Wind und schon bei leichtem Luftzug. Wenngleich wir die Sprache nicht entziffern können, so lösen die poetische Konstellation sowie die bildhafte Ästhetik der georgischen Schrift Gedanken, Geschichten und Träume aus.
KunstPost
Das KunstPostamt im Kabinett der Galerie bietet Ferngespräche, Kunstpostkarten und DialogPost, bei der die Besucher*innen die Künstlerin beauftragen können, einen Brief an sie zu schreiben. In Vilém Flussers Essay „Die Schrift“ heißt es dazu: „Das Pendeln zwischen Klassik und Romantik, diese Dynamik der Dichtung (und von daher aller Kunst überhaupt), und dies sowohl im historischen wie im individuellen Sinne, ist für das Briefeschreiben bezeichnend. Daher ist es als eine der raffiniertesten Künste anzusehen.“
Wortbilder und Wortwechsel
Die spazierende, schreibende und bildende Künstlerin erweist sich als Nomadin durch die Wortgebirge dieser Welt, die sie mit neuen Pflanzen, Steinchen oder Worthügeln erweitert. Indem sie die Übergänge von Sprache und Sehen erforscht, das Verbildlichen der Worte und vice versa das Versprachlichen der Bilder, moduliert sie die Worte, ihre Buchstaben und Typen, Rhythmen, Silben und Schwünge zu Sprachskulpturen. An deren überstehenden Haken, Ösen und Übersetzungsfehlern, die nicht geglättet oder weggefeilt werden, können die Betrachtenden hängen bleiben und verweilen, anecken oder sich stoßen.
barbara caveng schafft ebenso verblüffende wie zündende Untersuchungen im Zwischenraum von Wort und Bild, die im Sinne von Aby Warburgs Pendelbewegung neue Wahrnehmungs- und Gedankenräume eröffnen.
Michaela Nolte (Kuratorin), Berlin, im September 2023
barbara caveng
Mit ihren interdisziplinären Interventionen und Installationen, mit performativen und partizipativen Kunstgroßprojekten erweitert barbara caveng den Begriff der sozialen Plastik und sorgt für Aufsehen: mit dem NEUKÖLLNER SOZIALPARKETT (2010) ebenso wie mit „DJANNAT AL-ARD | PARADIES AUF ERDEN (2011 in Damaskus), der 2013 gegründeten KUNSTGEMEINDE PAMPSEE oder dem 2015 initiierten KUNSTASYL – das mit dem Ausstellungsprojekt daHEIM: EINSICHTEN IN FLÜCHTIGE LEBEN 2016/17 im Museum Europäischer Kulturen MEK, Berlin zu erleben war – sowie 2019 mit SCHWARZER HIMMEL in Novosibirsk.
Nach dem Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz, arbeitet caveng seit 1991 als freischaffende Künstlerin, seit 1996 von Berlin aus. Eigentlich, so die in Zürich geborene caveng, sei sie Spaziergängerin. Allerdings nicht im Sinne des flanierenden Bohemiens. caveng läuft! Hellwach und unserer Zeit immer ein Stück weit voraus – nicht nur künstlerisch.
One day chicken. Next day bones.*
Ein Mantel tanzt, ein Stein schmiegt sich ins gefiederte Kissen. Haargeschichten türmen sich zu Farb- und Formgebilden. Was erzählen (uns) Steine, Haare, Federn? Ein partiell aufgelöstes Taschentuch? Geschichten von Nachbarn und von Menschen, die sich und uns fremd sind. Visualisiert in dreidimensionalen Erzählungen, Verknüpfungen und Schichtungen.
Die Ausstellung präsentiert textile DeFIBRILLATIONEN und PHILOSOPHISCHE KOPFKISSEN sowie Objekte und Skulpturen aus menschlichem Haar, die im Kontext von HA(A)RVEST entstanden sind. Für die soziale Plastik hat caveng Haare von mehr als 10 000 Menschen gesammelt, den Geschichten von Friseur*innen und ihrer Kundschaft gelauscht, das geborgene Material gesichtet, gekämmt und sortiert, hat es transformiert, um „mit Geduld und Konsequenz die Notwendigkeit einer Ästhetik des Experiments und der Existenz zu artikulieren.“ (Paolo Bianchi**).
Eine Video-Dokumentation zu HA(A)RVEST (2019) zeigt die erstaunliche Wandlung eines wallenden Haarweges und des Münsterländer Lohnunternehmers Möllenkotte.
* Jacqueline Woodson „Red at the Bone“
**Paolo Bianchi „Utopie als Freiheit der Vorstellungskraft“, werkleitz Jubiläums Festival, Halle, 2013
Biographie Barbara Caveng
1963 | geboren in Zürich |
1982-86 | Studium an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Graz |
seit 1991 | Bildende Künstlerin |
Barbara Caveng lebt in Berlin, spaziert und arbeitet weltweit. |
Ausstellungen (Auswahl):
2020 | Objekte und Skulpturen, Galerie Mönch Berlin AMNESIA Kloster Bentlage, Rheine (1. bis 16. August) |
2019 | schwarzer himmel Performance mit Synestetika | 48 Stunden Novosibirsk – Festival für Zeitgenössische Kunst HA[A]RVEST – Haarballenpressung | Performativer Akt im Rahmen der LichtKlangKunstnacht, Künstlerdorf Schöppingen |
2018 | Landhandel Bodenfrage UM Festival – Festival für zeitgenössische Kunst Musik Literatur in der Uckermark. |
2016/17 | daHEIM: einsichten in flüchtige leben | Ein Ausstellungsprojekt von KUNSTASYL & Museum Europäischer Kulturen MEK, Berlin KUNSTASYL | DIE KÖNIGE – UTC7 HOURS PARALLEL PERFORMANCES Museum Europäischer Kulturen MEK, Berlin |
2015 | „Do I Look like a refugee“ corner college | Zürich Edel, hilfreich und gut – Nutzobjekte von Künstlerinnen und Künstlern | Galerie Ruhnke, Potsdam |
2014 | heritage Kunstmuseum Thun, CH Utopisten & Weltenbauer Künstlerhaus Dortmund HEIMISCH Galerie im Saalbau Berlin [S] |
2013 | UTOPIEN VERMEIDEN Werkleitz Jubiläumsfestival | Halle REAKTORHERZ St.Marien Kirche Aahaus im Rahmen der Ausstelungsreihe ‚Kritische Masse‘ [S] |
2012 | Amman Journal Forum Schlossplatz | Aarau, CH Media-Scape Biennale Zagreb HDLU – Mestrovic Pavilion | Zagreb PATRIMOINE REVISITÉ Sauvegarde Patrimoine de Leytron & ECAV – ecole des art du valais | Sierre, CH |
2011 | Paradies auf Erden [S] AllArtNOW, Damaskus Geist ist Geil Stiftung Künstlerdorf Schöppingen |
2010 | NEUKÖLLNER SOZIALPARKETT [S] Museum Neukölln | Berlin RAW [S] Galerie m beck | Homburg |
2009 | the meaning of meals Aram Art Gallery Seoul impressionen gegenwärtiger kunst in berlin Museum für Moderne Kunst Skopje VOX POPULI Kunsträume Burgeisenhardt |
2008 | Wa[h]re Kunst Kunstverein concentart, Berlin State Alpha – on the architecture of sleep N.A.I. National Museum o Architecture | Maastricht Päckchen für Kirgistan | Utopie des Raumes Kyrgyz National Museum of Fine Arts |
2007 | THREAD Koroška Galerija | Slovenj Gradec, Slovenija |
2006 | deathpenaltyartshow „Justice for all – Artists reflect about the death penalty“ Gallery Lombardi | Austin, Texas A.R.M – all recycled material phase III – alles im eimer [S] galerie blickensdorff, Berlin RE-VISIONEN Kunstsammlungen der Stadt Limburg |
2005 | ŽIVETI LIVE International photographic exhibition | Koroška Galerija | Slovenj Gradec, Slovenija READY NOW One night at Moderna Museet | Stockholm und Kunsterners Hus Oslo all about Berlin white box | München A.R.M zu Gast im Musterhaus von Folke Köbberlin und Martin Kaltwassser Martin Gropiusbau Berli |
2004 | A.R.M – all recycled material | phase I Die Musterwohnung | Galerie Blickensdorff READY NOW im Rahmen von DETOX Kunsthalle Bergen | Telemarket Galerie Nottodden | Soerlandets Kunstmuseum Kristiansand, Norveig H.W. & J.HECTOR – Kunstpreis Kunsthalle Mannheim, 2. Preisträgerin READY NOW [S] DNA GALERIE, Berlin |
2003 | ICH HABE EINEN TRAUM [S] 50 days of photography | DOT gallery | Geneva, CH |
2002 | ICH HABE EINEN TRAUM [S] Kunstsammlungen der Stadt Limburg (Kunstpreis der Stadt Limburg, 1. Preisträgerin) und DNA Galerie, Berlin Execution and Extermination Art Museum Akurery, Island Art against torture and execution national center of contemporary fine arts | Kaliningrad |
2001 | Heidelberger Kunstpreis, 1. Preisträgerin |
2000 | Festival of Visions Goethe Institut Hongkong Visionen 2000 Landeskunstausstellung des Saarlandes | Albert Weisgerber Museum St. Ingbert „… und ab die post 2000“ 4. Festival experimenteller Kunst | Altes Postfuhramt Berlin | DNA galerie |